Songempfehlung: Hi Ren – Ren

Vor einiger Zeit stieß ich bei Twitter auf eine Songempfehlung, die der Empfehlende als das „beeindruckendste, persönlichste, verletzlichste und ehrlichste Video der Musikgeschichte mit unfassbaren Lyrics und Talent“ bewarb. Nun, diesen Superlativen kann ich nicht zustimmen und diese sollen wohl auch eher Ausdruck der Begeisterung des Empfehlenden sein als eine tatsächliche Tatsachenbehauptung. Besonders beim Lob von „Ehrlichkeit“ oder dessen Zwillingsgeschwister „Authentizität“ in künstlerischen Werken rollen sich mir die Zehennägel hoch (kein schöner Anblick), denn bei aller selbst erlaubten Naivität beim Rezipieren, darf man doch wohl nicht vergessen, dass diese wahrgenommene „Ehrlichkeit“ in Kunstwerken immer komponierte „Ehrlichkeit“ ist, inszeniert, dargestellt, mit einer bestimmten Absicht, die man dann auch kritisch betrachten darf und sollte. So auch in dem empfohlenen Video – dort sind einige schöne, sensible Momente zu finden, auch ein paar plakative und berührt wird man sicherlich, doch natürlich ist das alles Schaffensabsicht und somit auch immer „virtuelle Emotion“ und nicht das „Ehrliche“ und „Echte“, das wir uns alle so sehr wünschen, wenn wir uns mit Kunst beschäftigen. Ich betone das unpassender Weise an dieser Stelle, weil dieser Song ein „erweitertes Phänomen“ nach sich zieht, auf das ich später nochmal kurz zu sprechen komme. 

Soviel zu meinen Bauchschmerzen bei der heutigen Songempfehlung. Auch wenn ich das Werk nicht mit Superlativen überschütten möchte: es ist beeindruckend und sehr gut. Für meinen Geschmack an manchen Stellen etwas zu dramatisch, etwas zu simpel und dadurch etwas zu nah am Gemeinplatz, dafür aber an anderen Stellen (ich denke an eine bestimmte: „Nah, mate, this time it’s different man, trust me I feel like things might be falling in place“) tief und schön. Die musikalischen Höhepunkte für mich sind die Non-Lyric-Vocals am Anfang und am Schluss – in diesen steckt für mich bereits der emotionale Gehalt des Songs, der Rest ist m.E. nur noch Ausformulierung. Es gibt sehr viel Text, der sehr schnell dargeboten wird (was mir eigentlich nicht gefällt), aber dadurch natürlich eine gewisse Bandbreite abdeckt wird, die mindestens interessant ist. Bspw. werden hier Ängste thematisiert, die sicherlich jeder kennt, der schon einmal etwas künstlerisches Schaffen wollte, aber auch darüber hinaus, sind die besprochenen Ängste und Hoffnungen wahrscheinlich für viele Menschen nachvollziehbar. Das Thema ist innerer Kampf, psychopathologische Probleme und schließlich der weite Bogen zum Bösen und Guten selbst (hier wird es dann gemeinplatzig) – das ist spannend und in dieser Intensität m.E. eher unterrepräsentiert. Auch die Komposition ist gelungen, mit unterschiedlichen Tonfärbungen, ein paar Twists, einem passigen Finale und einer schönen, zerbrechlichen Eingängigkeit. Das Lied ist also hörenswert!

Jetzt aber nochmal zum „erweiterten Phänomen“: zu diesem Song gibt es gefühlt eine Milliarde sogenannter Reaction-Vidoes auf Youtube (also Videos von Menschen, die sich das Musikvideo ansehen und sich beim darauf Reagieren selbst aufzeichnen), in denen alle Rezipienten völlig aus dem Häuschen sind und sich berührt fühlen – was nachvollziehbar und auch schön ist. Meine eigenen Reaktionen zu den Reaction-Videos waren dagegen zweispältig – während es prinzipiell in unterschiedlichen Hinsichten interessant ist (Mensch ist soziales Tier, blabla), anderen Menschen beim Beurteilen und Fühlen zuzuschauen, riefen die Beobachtungen bei mir einen seltsamen Mix aus Empathie und Kritik hervor, ich fühlte mich einerseits durch die gezeigte Emotion (noch einmal vom ursprünglichen Song) berührt, gleichzeitig in ihrer Darbietung und in der Art und Weise der unkritischen Beurteilung des Werkes irgendwie abgestoßen – als würde man etwas teilen, aber aus unterschiedlichen Blickwinkeln, wodurch sich das Geteilte in Frage stellt. Ich habe es dann aufgegeben, weil ich mir das Lied doch lieber alleine anhören möchte, aber wenn ihr Lust habt, schaut euch das Ganze mal an, interessant ist diese Rezeption aus zweiter Hand ebenfalls. Und wenn ihr mögt, schreibt mir, wie ihr das Ganze findet. 

Bis zum nächsten Mal. Bleibt schön, stark und komplex!

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