Tolles Interview mit Martin Lechner über das Schreiben

Liebe Gemeinde, ich empfehle euch ein wunderbares Interview mit dem Autoren Martin Lechner bei TiTTLE – dem Literaturblog am Rande des Literaturbetriebs (von Ralph Segert). Warum ihr das Lesen solltet? Nun:

Das Interview steckt voller wunderbarer Erkenntnisse, Erinnerungen und geschilderter Erfahrungen, die man nachvollziehen kann und die etwas trösten und beruhigen, wenn man sich selbst dem Schreiben aussetzt. Ich fühlte mich umgehend heimisch, in den Gedanken der Beteiligten, aber auch für Nicht-Schreibende, vielleicht nur Lesende, offenbart sich darin etwas: das Vorgehen eines Autors und sein eigenes Staunen über dieses Vorgehen, dem er auch selbst gewissermaßen ausgeliefert ist.

Was mir daran besonders gefallen hat: Martin Lechner ist nicht nur sagenhaft unprätentiös und sympathisch, sondern er verzichtet auch darauf, zu akademisch oder gezwungen intellektuell über das Thema zu sprechen, während manch andere Autoren gerne dieser Neigung verfallen, das eigene Schaffen, das sich dem Rationalen auch immer entziehen möchte, gerade mit dessen Mitteln erfassen zu wollen und so selbst etwas blutarm wirkend daherkommen oder gar wie Zentralmassive des Geistes erscheinen, die über allem Gewöhnlichen thronen. Ganz anders – wie ich finde – Martin Lechner: er bleibt bei den Bildern (er beginnt bereits im ersten Absatz mit dem „abgrundblauen Augenblick der Sprache“), den Verrückt- und Verwegenheiten der Sätze, der Kraft des Schreibens selbst, der Skepsis, die man in den Künsten gegenüber dem Realismus haben muss, dem Respektlosen und gleichzeitig Demütigen, das jedem Text inne liegt. Und so erschafft er im Sprechen über literarische Werke selbst ein literarisches Werk, das unglaublich lesenswert ist. Einige Tage später twitterte er: „Ich habe darin vielleicht zum ersten Mal zu einem Schreiben über mein Schreiben gefunden, wie es mir vorher nicht möglich schien.“ Das merkt man. Im Interview bahnt sich etwas Großes an, an dem man teilhaben darf. Eine wirklich schöne, bereichernde Erfahrung.

Das Interview ist auch so erfrischend wie ein Glas Hagebutten-Hollunder-Limonade, weil es keine eindeutigen Antworten liefert, sondern während es beflissentlich erhellt, auch immer ein paar Ecken – oder gar ganze Speisekammern – im Dunkeln belässt. Ich stelle mir eine gewaltige, saftiggrüne Wiese vor, auf der sich der Frager und der Befragte spielend herumwälzen und so den Antworten zwar näher kommen, jedoch weniger verstehbar, als vielmehr fühlbar – der mitrangelnden Leser*in wird anders zu Mute, da sie die Wichtigkeit spürt, doch diese nicht zu fassen bekommt, diese so wunderbar schmerzlich durch die Fingerchen rinnt, während die Freundtränen die Wangen hinabrutschen.

Ein paar Beispiele gefällig? Dan schaut euch diese Sätze an:

„Immer noch und immer wieder erscheint mir dieses „Schreiben über“ verdächtig, manchmal fast beschneidend und gewaltvoll gegenüber dem Weltraum eines Satzes. Mein Schreiben war damals stark bestimmt, fast besessen von der Hoffnung, eine offene, nicht vorab schon festgelegte Erfahrung zu machen. Auch wenn ich heute mit etwas mehr Übersicht an die Sache gehe, so ist das immer noch der Kern des Schreibens. Nicht mehr Bescheidwissen müssen, nicht mehr Auskunft geben können, stattdessen sich verlaufen, verlieren, verwandeln.“

Oder:

„Die Brille der genauen Beschreibung, die immer von der Welt auf den Text schaut, verkennt diese Wirkung. Wenn ich stattdessen die Brille der plastischen Gestaltung aufsetze, achte ich auf andere Dinge. Nicht, wie empirisch korrekt etwas abgebildet wurde, sondern welche Worte, kraft ihrer Bilder, ihres Klangs, welche Vorstellung wecken. Dadurch kann es zu einer Blickumkehr kommen. Der Vorstellungsreichtum, mit dem mich eine Lektüre anfüllt, kann meine Wirklichkeitswahrnehmung wundersam hochschärfen. So sehr, dass ich den Eindruck gewinne, als zöge die Welt für gewöhnlich in einer Plastikverpackung an mir vorüber. Als tappte ich durch den Alltag mit einem fast auf Null heruntergedimmten Bewusstseinslicht. „So geht das Leben dahin“, schreibt Šklovskij, „wird zum Nichts.“

Oder:

„Zu Beginn, als ich vor lauter Gedanken wie ein Geist aus dem Studium geschwebt kam, stand mir unter anderem die Überzeugung im Weg, ich müsste alle meine Sätze verstehen. Also in der Lage sein, sie auch anders auszudrücken, so dass ich sie erklären kann. Für gedankliche Sätze mag das richtig sein, aber wer bei literarischen Sätzen auf Übersetzbarkeit zielt, dem versperrt sich leicht der Blick für deren Klang und Bildlichkeit. Ein klang- und bildlich bewegter Satz aber durchschaut sich nicht, zumindest nicht bis zum Grund. Deshalb gründet er auch nicht in Erkenntnis, sondern im Vertrauen. Und Sätze, denen ich vertrauen muss, statt sie vollends zu verstehen, eröffnen einen sinnlichen Spielraum. Genauso wie ja auch wir nicht allein sinnbestimmt sind, sondern immer auch uns selbst undurchsichtige, sinnliche und seltsame Wesen.“

Bevor ich jedoch noch vor Superlativen platzen möchte, lasse ich ganz wehmütig als Fazit stehen: Nach dem Lesen dieses Interviews wird man klüger und feinfühliger sein – vielleicht ein besserer Mensch. Wem so etwas wertvoll erscheint, der möge hurtigst seine Lesebrille herausholen und loslegen.

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