Evolution eines Songs

Liebe Friends, liebe Gemeinde, an dieser Stelle möchte ich euch gerne an der langen und schwierigen Entstehungsgeschichte eines Songs teilnehmen lassen. Dieser Prozess war ungeheuerlich fragmentiert, manchmal lustvoll, oftmals frustrierend und selbst das Endprodukt wirft bei mir noch Fragen und Zweifel auf – auch wenn es schön ist, das „Ding“ jetzt erst einmal abgeschossen zu haben, wodurch – so meine Hoffnung – wieder musikalische Kapazitäten freiwerden (könnten).

Alles begann vor längerer Zeit – es waren sicherlich 1-2 Jahre – mit einer musikalischen Idee, einer Akkordfolge und einer rudimentären Melodie, die irgendwie enstand. Aus dem freien Spiel. Wahrscheinlich von einer übersinnlichen Instanz in mich hineingetragen. Sicherlich war es ein unheimlich mysteriöser, von einem göttlichen Funken begleiteter, heiliger Moment. Oder ich war zu diesem Zeitpunkt etwas angetrunken (könnte durchaus sein). Diese Akkordfolge hatte ich irgendwann im Laufe des Jahres schon einmal hier auf die Website gestellt, aber nie fiel mir dazu ein Song ein, etwas Geschlossenes, Stimmiges, wenn man so will. Es handelt sich um diese hier (die ich witzigerweise unter dem Dateinamen „unfertiges Stück“ abgelegt habe):

Der Anfangspart (bis 0:37) ist tatsächlich die ursprüngliche Idee, von vor, ach lass es drei Jahre her gewesen sein (der Rest improvisiert). Dieser begleitete mich über unzählige kurze Solo-„Jam“-sessions hinweg, in denen mir nichts anderes einfiel. Ich mochte den Sound, weil mir dieser damals eher „fremd“ vorkam, ein bisschen jazzig klingt, aber auch mollig, was mir wiederum schon seit jeher gefällt. Zudem gestaltete sich mein Songwriting-Prozess damals eher so: Ich hatte einen Text, oder eine Textidee, die ich dann musikalisch unterlegte. Zwar tauchten auch stets musikalische Ideen beim Rumprobieren auf, doch fiel es mir eher schwer, deren ursprünglichen Vibe in Abstimmung zu einem passenden Text in ein fertiges Lied „hinüberzuretten“. Dementsprechend hiflos waren meine bisherigen Versuche. Eine Version, die ich noch in meinem Speicher gefunden habe, ist folgende, die meinem damaligen Ansinnen (das mir nicht wirklich bewusst war), langsame, melancholische Singersongwriter-Musik zu komponieren, entsprach. Den Text finde ich auch jetzt in der Retrospektive nicht schlecht, ein wenig seltsam, aber zumindest interessant (Themen: Verzicht, die Winzigkeit des Individuums, dessen Versagen, mehr sein zu wollen, in Verbindung mit gezwungener, relativ oberflächlicher Kritik an digitalen Verhältnissen – oder so ähnlich), vielleicht zu „bedeutungsschwanger“, der Song blieb aber irgendwie ereignislos, etwas „dahinplätschernd“, weshalb ich diesen wieder in den staubigen Tiefen der Festplatte verschwinden ließ. Aber hört selbst (der Song endet an einer Stelle plötzlich, ich weiß nicht mehr warum). Dateiname (bezeichnend): StuffaboutGröße.

Version 1?

Ich war nicht zufrieden. Aus einer unreflektierten „da muss mehr Pepp rein“-Haltung heraus versuchte ich dann wohl (die Rekonstruktion fällt mir beim Verfassen dieser Zeilen schwer) mehr Tempo und mehr Text (was sich letztlich eher negativ ausgewirkte) in die ursprüngliche musikalische Idee hineinzupacken. Der Dateiname lautete nun nur noch schlicht „Größe“. Die Thematik versuchte ich textlich möglichst „komplett“ zu fassen, das heißt: dessen Komplexität darzustellen, noch ein wenig Witz hineinzuschreiben, irgendwie ausführlich zu sein, aber auch nicht zu sehr – was letztlich, so glaube ich, misslang. Die Länge des Songs verdoppelte sich, ich verhaspelte mich beim Singen (was ein schlechtes Zeichen ist). Er wurde „größer“ (lustig), aber dadurch nicht wirklich besser. Die Nachfolgeversion klang dann so (mit rhythmischen Brüchen):

Ich war immer noch unzufrieden. Zu dieser Zeit besaß ich bereits meine MPC Live – eine „Groovebox“, ein tragbares Aufnahme-Studio, wenn man so will (link sollte hier sein, schade!), mit dem man viel anstellen kann. Ich probierte mit Rhythmen herum, fügte Schlagzeugsequenzen ein, die ich wieder verwarf, doch das „Dahinplätschern“ des Songs blieb bestehen. Für meine Ohren wollte sich keine passable Version finden, für dieses Gefühl, das man von einem guten Song hat, diese unbestimmte Idee, von Länge, von Melodie und unterschiedlichen Rhythmen, von Zusammenspiel von Text und Musik. Er war immer noch zu lang. Nicht griffig. Irgendwie nicht „zugänglich“. Ein etwas kläglicher Versuch, dem ganzen mehr Fülle und melodischen Esprit zu verleihen, bestand darin, die bestehende Version mit einer Zweistimme „anzureichern“. Der Vollständgkeit halber zeige ich euch auch diesen Versuch, er schlug jedoch fehl, klingt immer noch nach „Unfertigkeit“, was auch daran lag, dass ich diese Idee schnell wieder verwarf:

Zu dieser Zeit befand ich mich in zwei sehr schönen, aber losen musikalischen Kooperationen. Diesem Song fehlten, meiner Meinung nach, unbedingt weitere Instrumente. Wenn er schon lang war, musste er zumindest ordentlich klanglich ausgestaltet sein, hie und da ein Solo, vielleicht ein tatsächliches Schlagzeug, mehr Gesang, Kanon, eine Kirchenglocke oder der Auspuff-Sound eines alten Traktors – es fehlte und fehlte und fehlte etwas. Ich hoffte also insgeheim darauf, gemeinsam mit anderen Musikern daran zu arbeiten, doch waren andere Ideen spannender – der Song verschwand wieder in der digitalen Festplattenkiste. Bis zur Mitte des Jahres 2022. Das oben gezeigte Video rief mir die ursprüngliche musikalische Idee in Erinnerung. Mittlerweie geübter im Umgang mit meiner MPC Live, ausgestattet mit Voice-Prozessoren, stilistisch durch neue andere Song-Experimente angereichert und seit längerer Zeit musikalisch besetzt von sphärischen Klängen meiner all-time-favourite-band Radiohead, begann ich (in den wenigen Momenten des überfüllten Alltags), an der Idee weiterzubasteln. Ich bastelte und bastelte. Fügte Beats ein, Synthie-Sounds, probierte herum und es fühlte sich erstmal gut an. Meine Offenheit gegenüber elektronischen Sounds nahm die Jahre über zu (mittlerweile kann ich mir Songs ohne diese Komponenten schwierig vorstellen). Ich werkelte den Song also komplett musikalisch zusammen (ohne Text), immer mit dem Credo im Hinterkopf: Abwechslung und Überraschung sind Kernelemente einer guten Komposition, ohne dies jedoch übertreiben zu wollen, um eine „eingängige Hörbarkeit“ zu gewährleisten (ich wollte also nicht zu sehr in melodische Tiefen abtauchen, in Experimentelles, obwohl dies immer noch spannend ist: Mehr mit Musik zu machen, als das Gewohnte). In einer sehr dunklen „Terrassen-Bier-Nacht“ füllte ich die strukturellen Leerstellen sowohl mit Text als auch musikalischen Ergänzungen auf – es fügte sich (zu diesem Zeitpunkt gefühlt) zusammen. Ich legte weniger Wert auf die konkrete Aussage des Textes – diese wandelte sich vom Thema „Größe“ hin zur Unübersichltlichkeit von Informationen, von Ideen, von der Komplexität unserer Kommunikationsprozesse. Relativ von selbst, drängte sich mir dieser Inhalt auf, was natürlich mit meinem Alltagsbewusstsein zu tun hat, doch: Nicht Schlüssigkeit oder möglichst Ausführlichkeit sollten im Vordergrund stehen, sondern eher Fragmente, auch Unverständliches – letztlich: Koheränz, das Dogma des Storytellings einer Singer-Songwriter-Komposition, wollte ich hinter mir lassen. Befreiend (wenngleich ich diese künstlerische Idee schon länger mit mir herumtrage, die natürlich nicht neu ist)! Der Song entwickelte sich also fort, nahm zunächst eine Form an, mit der ich einigermaßen zufrieden war (aber natürlich noch nicht letztlich):

Ich war zufriedener, aber noch nicht „satisfied“. Mir gefiel der Schluss, der einen muskalischen Bruch darstellt und in mein favorisiertes Moll mündet, doch war ich angetan, von der dancy- und flowyness des „Alles-läuft-rein“-Parts. Ein ungewöhnliches Gefühl für mich, da ich eher nicht der Dancy-Flowy-Typ bin. Ich wollte diese Behaglichkeit, diese eventuelle Leichtigkeit, nicht einfach untergehen lassen. Ich musste am Ende des Songs dahin zurückkehren. Von selbst kam die Idee eines „Fadouts“ (ein eher fragwürdiges kompositorisches Element, da ich Fan eines klaren Schlusses bin und Fadeouts immer auch ein bisschen bedeuten, den Kopf aus der Misere des passenden Endes zu ziehen), der diesen Mainpart des Songs noch einmal aufgreift, in ein offenes Ende, in das Restgefühl, das bleibt, wenn ein Song endet – dieses Gefühl, das man mit nimmt, in die nachfolgende Stille, in diese Wehmut, darüber, dass ein Song zu Ende ist und gleichsam in diese unbestimmbare Befriedigung, dass ein Song zu Ende ist. In diese Ambivalenz, die schwer auszuhalten ist, der eigentlich etwas folgen muss, die schmerzt und zugleich befreit. Vom Fadeout hatte ich mich dann allerdings doch wieder schnell verabschiedet, es funktionierte einfach nicht, weder technisch, noch kompositorisch – es klang blöd, also entscheid ich mich für Geigen. Auch nicht der Knüller, aber „abschließender“, im Gehörgang befriedigender. Dementsprechend entstand diese „Endversion“:

Ich bin noch immer nicht zufrieden (was gegenüber meinen eigenen Werken nicht ungewöhnlich ist). Es gibt mindestens 10 Dinge, die ich gerne noch verändern würde, aber es muss nun wirklich Schluss sein. Natürlich fehlte mir die Regulation durch Dialog. Ich hätte mir ein künstlerisches Korrektiv gewünscht – tatsächlich habe ich das Gefühl, der Song ist nun etwas „overproduced“, zu voll gepackt mit Sounds und Effekten. Wäre simpler doch besser gewesen? Waren vorherige Versionen vielleicht passender? Wäre ein anderer Text sinnvoller gewesen? Andere Melodien, Progressionen? Diese Fragen stehen am Ende jedes Prozesses im Raum – hier also auch. Ich hoffe nicht auf Antwort, aber darauf, dass euch dieser Rückblick vielleicht gefallen oder euch vielleicht sogar zu einer konstruktiven Sache inspiriert hat. Wenn ihr mir Rückmeldung geben wollt: Sehr gerne! In jedem Fall jedoch: Vielen Dank fürs Lesen und Hören und Fühlen!

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