Debattenbeobachtung: Team Biologie vs. Team Gender

Inhalt: Kommentierung einer hitzigen gesellschaftlichen Debatte und Nachdenken über konstruktives Sprechen.

Die letzte Woche über entbrannte (nicht nur) auf Twitter ein Meinungsstreit über einen populärwissenschaftlichen Vortrag bei der „Langen Nacht der Wissenschaft“ der Humboldtuni. Dieser Streit hat eine Vorgeschichte und es scheint (zumindest behaupten das manche Beteiligte) eine Lagerbildung zu geben: Auf der einen Seite das Team Biologie (ja die nennen sich wirklich so), auf der anderen Seite das Team Gender (ja, die nennen sich auch wirklich so). Beim Streit geht es (hoffentlich verkürze ich an dieser Stelle nicht) um die folgenden Positionen: Das biologische Geschlecht ist binär (männlich und weiblich -> Team Biologie) und das biologische Geschlecht ist vielfältig (es gibt Ausprägungen, die nicht in das binäre Kategoriensystem passen -> Team Gender). 
Zur (Vor- und)Geschichte des Konfliktes: Die Vortragende an der Humboldtuni, Marie Vollbrecht, tritt auf Twitter als Aktivistin für feministische Positionen in Erscheinung, die jedoch eine gewisse Trans-Gegnerschaft erkennen lassen. Unter anderem verkündete sie etwa dies auf ihrem Twitterkanal:

Ebenfalls war sie Mitautorin eines polemischen Artikels mit dem Titel „Warum ARD und ZDF unsere Kinder sexualisieren und umerziehen“ (der Artikel liegt hinter einer Paywall, ist aber hier lesbar). Vollbrecht sollte zur „Langen Nacht der Wissenschaft“ einen Vortrag mit dem Titel: „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht – Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“ halten, was von einigen Personen (soweit ich weiß Aktivisten als auch Vertreter*innen der Studierendenschaft als auch weiteren kritischen Beobachter*innen) problematisiert wurde (weitere Hintergrundinfos gibt es bspw. hier). Aktivisten drohten, gegen den Vortrag zu demonstrieren, woraufhin die Humboldt Uni den Vortrag aus dem Programm nahm, woraufhin sich nun wiederum zu dem eigentlichen Konflikt der unsägliche Topos der „Cancel Culture“ hinzugesellte und viele hinzugekommene „Kommentatoren“ nun die Wissenschaftsfreiheit bedroht sahen. Dies führte natürlich zwangsläufig dazu, dass nicht mehr der konkrete Anlass kommentiert und diskutiert wurde, sondern Abstrakta, Pappkameraden und weitere Themen, in einer verheerenden Unschärfe (mit Verallgemeinerungen, Allaussagen, Feindgruppenkonstruktionen).

Der konkrete Anlass, hätte man sich auf diesen konzentrieren können, wäre jedoch spannend zu diskutieren gewesen. Nachvollziehbare Kritikpunkte gegen den Vortrag waren bspw. der reißerische Titel in Verbindung mit dem Aktivismus-Hintergrund der Vortragenden in Verbindung mit dem Inhalt des Vortrags, der sich lediglich auf Lehrbuchwissen bezog und dieses als unumstößliches Faktum darstellte, jedoch die aktuelle akademische Diskussion um das Thema Geschlecht in der Biologie aussparte (gerade hier geht es um die Kategorisierung und deren Angemessenheit). Das interessierte aber letztlich niemanden mehr – der destruktive Debattenmechanismus war voll in Fahrt und schließlich wurde irgendwann nur noch das Kommentierte des Kommentierten des Kommentierten kommentiert. Marie Vollbrecht stilisierte sich als unschuldiges Opfer von Aktivisten, ohne die Problematik der konkreten Situation zu erkennen oder anzuerkennen. Immerhin kam es aber dann doch dadurch zu Interviews über den Gegenstand es Geschlechts in der Biologie, wie hier oder hier. Auch der Doktorvater von Vollbrecht meldete sich zu Wort und auch bei ihm fiel mir etwas auf, was ich nachfolgend beschreiben möchte:

Das Team Biologie und Vollbrecht (so wie ich das verstehe ein loser Zusammenschluss von Biolog*innen, Feminist*innen, Meinungsfreiheits-Verteidiger*innen, etc.) trat in der Diskussion stets und ohne nähere Differenzierung mit der Behauptung auf: Biologisch gibt es nur die beiden Geschlechter -> männlich und weiblich. Das ist ein FAKT. Die Problematik dieser Behauptung möchte ich nachfolgend darstellen:

  1. Die Aussage ist reduktionistisch und enthält schwierige Implikationen, die dann auch von Anhängern des Teams Biologie in der weiteren Debatte expliziert wurden: Es handelt sich um einem Fakt und dieser ist unumstößlich. Es gibt nur zwei Geschlechter und wer diesem Fakt widerspricht, der erkennt Wissenschaft (und damit Wahrheit) nicht an und/oder verfolgt eine ideologische Agenda in Sachen Gender (oder man ist Geisteswissenschaftler*in und hat dementsprechend keine Ahnung von „handfester“ Wissenschaft). Wir kennen diese Argumentation im Zusammenhang mit Corona – eine ähnlich unübersichtliche und schwierige Debatte über medizinische Fakten und Fake News gab es damals bereits. Diese scheint sich nun – obwohl sich beide Debatten eben nicht vergleichen lassen – zumindest in Aspekten fortzusetzen. Vertreter der biologischen Definition wähnen sich als Verfechter von Wissenschaft und Rationalität und weisen Kritiker und Zweifler als irrational aus. Natürlich ist es aber nicht so einfach.  
  2. Die Aussage stellt anscheinend nicht den aktuellen Wissens- und Debattenstand der Biologie dar (siehe die Verweise oben).  Stattdessen beschreibt sie (soweit ich das als fachfremde Person beurteilen kann), eine Definition (Geschlecht), eine Kategorisierung, die vor allem in einer Fachrichtung (Evolutionsbiologie) für Forschungsprozesse notwendig und sinnvoll ist -> es geht hierbei um die Fortpflanzung, die vor allem in der Evolutionsbiologe erforscht wird. Wie sich das Verhältnis in der Disziplin Biologie darstellt, hat folgender Twitter-User versucht darzustellen. Beurteilen kann ich dies fachlich nicht, auch wenn mir die Ausführung (bis auf die persönliche Meinung des Users) plausibel erscheint.
  3. Die Aussage provoziert durch die Einklammerung von implizierten Abwertungen und die Ausklammerung von Sachverhalten (akademischer Stand) Widerspruch, der durch eine genauere (und damit sachlichere) Kommunikation verhindert hätte werden können.  

Dementsprechend unverständlich ist, weshalb auch Wissenschaftler*innen (die eigentlich auf Differenziertheit und Genauigkeit Wert legen sollten) diese Behauptung in dieser Undifferenziertheit weitertragen (dass manchen Akteuren wiederum hier ideologische Absichten unterstellt werden, ist plausibel, denn ein Merkmal ideologischer Kommunikation ist die Vereinfachung von Argumentationen und Sachverhalten, das bewusste Ausblenden von relevanten Inhalten). Würde man genauer kommunizieren, so müsste man stattdessen sagen: Das biologische Geschlecht ist eine willkürliche Festlegung, die sich aus dem Forschungsgegenstand heraus jedoch sinnvoll begründen lässt. Das Geschlecht in der Biologie wird als binär kategorisiert, wenn man es als funktionales Element des Systems Fortpflanzung (wenn man sich also mit Fortpflanzung forschend beschäftigt) betrachtet, denn in diesem System unterscheidet man lediglich zwei Typen von Zellen (Spermien und Eizellen). So eine Aussage führt wahrscheinlich nicht zu einer erhitzten Debatte, in der am Ende über alles, nur nicht den konkreten Anlass diskutiert wird. 

Eine These für konstruktives Sprechen könnte hiernach also lauten: Sachverhalte differenziert beschreiben, auch wenn es anstrengend und schwierig wird (nicht immer können wir schließlich Sachverhalte vollends erfassen und durchdringen). Im Widerspruch hierzu steht natürlich ein monokausales Denken, das Sachverhalte stets auf andere Sachverhalte zurückführen möchte und nach einfachen Antworten Ausschau hält. Ein Denken, das allzu menschlich ist. Hierzu versuche ich demnächst noch etwas zu verfassen. 

Wenn ihr Gedanken zu dem Thema habt…lasst sie mich gerne wissen. Bis dahin, alles Gute!

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