Empfehlung: The Last Dance

Liebe Gemeinde, auf Netflix gibt es derzeit eine Doku über Michael „Air“ Jordan und die letzte Saison der großen Chicago Bulls zu sehen: „The Last Dance“. Ich bin eigentlich kein Sportfan und schon gar kein Sportglotzer (wenngleich ich mich im Jugendalter eine Zeit lang sehr intensiv für Basketball interessierte), aber diese Doku habe ich weggebincht, da sie wirklich gut gemacht ist und sehr interessante Aspekte von Sport, Psyche und Motivation aufzeigt. Zudem ist sie narrativ gut konstruiert, so werden die Geschehnisse der letzten Saison gezeigt, versetzt mit (thematisch sinnvollen) Rückblicken in die Karrieren von Michael Jordan und den Bulls. Alle großen Player (Scottie Pippen, Dennis Rodman) erhalten ebenfalls erzählerischen Raum, was das ganze abwechslungsreich macht. Nachfolgend versuche ich zu schildern, weshalb es sich lohnt, sich das anzusehen.

Sechs Gründe, warum man sich die Doku anschauen sollte:

  1. Einblick in eine anachronistische(?) Welt der Dominanz: Während im alltäglichen gesellschaftlichen Verkehr männliches Dominanzgebaren legitim problematisiert wird, scheint der Leistungssport hiervon eine Ausnahme zu bilden. Nun ist die Jordan-Ära schon lange vorbei, aber ich kann mir vorstellen, dass dies immer noch der Fall ist. Zu Jordans Blütezeit lautete das Motto: Es darf keinen anderen neben mir geben und falls doch, gilt es diesen zu vernichten – eine Haltung, die man als archaisch bezeichnen muss und dahingehend war es in der Doku interessant zu sehen, wie ältere Männer von dieser Zeit und ihren Ansichten diesbezüglich erzählen.
  2. Psychologische Einblicke I: Die Doku zeigt Jordans Haltung und seine Motivationsstrategien, die ihn – so lautet der Tenor der Befragten – überhaupt erst zu diesem Ausnahmespieler gemacht haben. Die Grundlage seines Konzeptes lautete hierbei recht einfach: Gewinnen, egal, was es kostet und dahinter eine ungeheure Disziplin, für dieses Ziel ständig zu trainieren und alles zu geben (er spielte etwa auch mit einer Lebensmittelvergiftung). Wobei Jordan extravagante Zusatzstrategien entwickelte, indem er sich etwa durch andere Spieler provoziert fühlte, bspw. wenn diese in den Medien ghyped oder statt ihm zum MvP (Most valuable Player) der Saison gewählt wurden. Teilweise konstruierte er auch diese Provokationen, um sein „Feuer“ zu entfachen. Er stellte sich diese also lediglich vor. Natürlich wurde er auch tatsächlich herausgefordert, woraufhin er denjenigen spielerisch bloßstellte, wenn sich die nächste Gelegenheit bot (jeder wusste, wenn man Jordan angeht, wird er Vergeltung üben). Um sich herausgefordert zu fühlen, benötigte er allerdings nicht viel bspw. lediglich, dass ihn jemand im Restaurant ignorierte. Er fand also genügend Anlässe, um sich zu rächen und den anderen zu dominieren. Ein Verhalten, das im gesellschaftlichen Verkehr hochproblematisch ist, in der männlichen-dominanzorientierten Sportwelt jedoch zu Erfolg zu führen scheint.
  3. Psychologische Einblicke II: In der Doku wird ebenfalls ein zwar küchenpsychologischer, aber zumindest interessanter Blick auf die mögliche Ursache von Jordans Disziplin und seiner Motivationsgabe geworfen. Demnach entfachte sein Vater in der Kindheit bewusst diesen speziellen Ehrgeiz, indem er ihn klein redete und seinen Bruder in gewissen Situationen vorzog – ein Erziehungsstil, der mindestens problematisch ist. Umso erstaunlicher ist es, dass der Vater bis zu seinem tragischen Tod ein enger Vertrauter Jordans blieb, jemand, bei dem er sich stets Rat holte. Im letzten Drittel der Doku wird der Vater als liebevoller Mann beschrieben, was angesichts dieser Erziehungsmethoden zumindest widersprüchlich erscheint. Hat man es hier aus psychologischer Perspektive mit dem Ringen um die Anerkennung des Vaters als Motivationsgrundlage zu tun? Mit der Internalisierung von äußerem Druck? Mit einem tiefen Selbstwertkonflikt, der nie gelöst, sondern als Erfolgsrezept instrumentalisiert wurde? Spannende Fragen, die in der Doku angeschnitten werden.
  4. Das Verhältnis von Furcht und Größe: ein längerer Teil der Doku beschäftigt sich mit Jordans Einfluss auf das Team der Chicago Bulls. Diesen kann man als total bezeichnen. In der NBA ist es wohl üblich, dass Starplayer ihr Team führen und voranbringen (müssen). Dementsprechend versuchte dies auch Jordan. In seinem Fall durch psychischen Druck und Angst. Er peinigte seine Mitspieler geradezu, veralberte sie (dauerhafter „Shit-Talk“), triezte sie und trieb sie dadurch zu besseren Leistungen. Die Doku kommentiert diese fragwürdige Motivationsmethode nicht, aber alle Befragten waren sich einig, dass diese letztlich notwendig war. Was sollen sie im Nachhinein auch anderes sagen, immerhin trat Erfolg ein. Solche Bewertungen (das positive Erinnern unangenehmer bis schlimmer Erlebnisse) erinnern mich nun wieder häufig an das Stockholmsyndrom und dessen zugrundeliegende Logik: meinem Peiniger unterstelle ich irgendwann positive Beweggründe oder ich bewerte sein Handeln positiv, da ich mich in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu ihm/ihr befinde, dem ich nicht entrinnen kann. Um somit die Situation ertragen zu können und an dieser nicht zu zerbrechen, deute ich den Schaden, der mir angetant wird, positiv um. Diese Logik kennt man ebenfalls aus Eltern/Kind-Beziehungen und auch hier wird viel verziehen, was eigentlich nicht sein sollte.
  5. Körperlichkeit und sportliche Eleganz: Mir war nicht klar, wie gezielt man seinen Körper für unterschiedliche Sportarten trainieren muss, um erfolgreich zu sein. In der Doku wird dies anhand von Jordans Wechsel vom Basketball zum Baseball dargestellt. Demnach spielen dort unterschiedliche Muskelgruppen eine Rolle, weshalb der Übergang zwischen den beiden Sportarten schwierig für Jordan war. Ebenso finde ich die Vorstellung relativ faszinierend, seinen Körper sozusagen als Werkzeug zu betrachten und dementsprechend einzusetzen. Mir ist so ein Denken äußerst fern, da mein Körper ja nur irgendein Ding ist, das an mir dranhängt. Sehr faszinierend war dahingehend dann auch noch einmal die Körperlichkeit von Jordan zu sehen und dessen Eleganz beim Spiel, dessen Schnelligkeit und Wendigkeit und Vermögen, aus unmöglichen Winkel und während er gefoult wurde noch zu treffen. Dies wurde in der Doku eindrucksvoll dargestellt (vielleicht sogar ein bisschen zu häufig).
  6. Die Kosten der Genialität: Wie zu erwarten ist, kann diese von allen erkannte Größe, diese Genialität nur durch einen hohen Preis erkauft werden. In Jordans Fall, war es ein Leben nur für den Sport, nur für den Sieg und dahingehend auch eine emotionale Verkümmerung durch ständige Selbstkontrolle. So schilderten die Befragten Jordan durchgehend als emotional nicht zugänglich, irgendwie übermenschlich, fast göttlich und waren verwundert, wenn er doch einmal Gefühle zeigte, etwa beim Sieg seiner ersten Weltmeisterschaft. Ist das jedoch die Botschaft an alle Aspiranten (in welchen Gebieten auch immer)? Wenn du Größe willst, wirst du dafür bezahlen müssen? Wer weiß?

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