Eine Woche ist vergangen und das Gedicht ruhte selig im Hinterzimmer meiner Birne. Nun aber geht es weiter (der erste Teil ist hier zu finden). Mir kam eine Idee zur Strukturierung des bisherigen Inhaltes und zwar:

Mir schwebt die visuelle Form eines dreistufigen mindmapähnlichen Netzwerkplanes vor, der vom Zentrum („Lernende Netzwerke“) ausgeht und sich vielfältig verzweigt. Die erste Ebene wäre eine Variation derselben Phrase, die 2. Ebene eine Abwandlung, die 3. Ebene eine freie Lautassoziation (und spiegelt dahingehend Kreativität und Improvisation am Ende eines Lernprozesses wider). Diese Konzeption erscheint mir interessant und sie nimmt die Fäden der vorherigen Überlegungen auf. Zudem gestattet sie mir, mir die fixe Idee der visuellen Gestaltung (vielleicht sinnvoll) konkreter vorzustellen und zu strukturieren. Der 1. Teil vom letzten freien Assoziieren sieht so aus:

Teil I
Lernende Netzwerke
Lernwerke
Netzlernen
Lernnetze
Werknetze
Werklernen
Gelerntes Netzwerk
Gewerktes Lernen
Lernendes Werk das netzt
Netzendes Werk das lernt
Genetzlerntes Werken
Das Begriffspaar „Lernende Netzwerke“ wird immerzu variiert und es geht ganz schön durcheinander. Hier eröffnet sich – wie beim letzten Nachdenken vermerkt – das Problem der Iterationen. Wenn das Gedicht auch eine technische Struktur darstellen/imitieren soll, wäre es sinnvoll, den Iterationsprozess logisch zu gestalten, das heißt regelhaft und nachvollziehbar. Eine Möglichkeit, die mir gerade einfällt, wäre das serielle Austauschen der einzelnen Wörter Lernen, Werk und Netz (durch die Auflösung des Kompositums Netzwerk). Dies wäre eine sehr einfache Regel, dich ich nachfolgend aber mal ausprobieren möchte. Also…
Die Iterationsregel (A) lautet: Letztes Wort rückt an die erste Stelle der nächsten Zeile, die anderen Wörter rücken auf:

Teil I – It. A
Lernende Netzwerke
Werke lernende Netz
Netzwerke lernende
Lernende Netzwerke
Nach drei Zeilen gelangt man so zur Ausgangsphrase zurück. Der sprachliche Ausdruck der Iterationen ist natürlich gewöhnungsbedürftig, da die Wörter in ihrer Wortart (Adverb und Substantive) unverändert bleiben, doch ich mag ein wenig poetische Spannung darin zu erkennen. Mir erscheint es gerade sinnvoll, mit weiteren Iterationsregeln fortzufahren und zu sehen, was dabei herauskommt. Nachfolgend möchte ich eine Regel, die ebenso die Wortart variiert ausprobieren und zwar dahingehend, dass die Ausgangsphrase (Lernende Netzwerke) gespiegelt wird. Also…
Die Iterationsregel (B) lautet: Letztes Wort rückt an die erste Stelle der nächsten Zeile, die anderen Wörter rücken auf; die beiden Wörter am Zeilenende bilden ein neues Kompositum, das erste Wort wird zu einem Adverb:

Teil I – It. B
Lernende Netzwerke
Werkende Lernnetze
Netzende Werklerne
Lernende Netzwerke
Das ist vielleicht schon spannender. Eine Kombination aus It. A und It. B wäre im weiteren Vorgehen vielleicht sinnvoll, ich möchte aber verfrühte Gedanken an eine spätere Komposition noch vermeiden. Daher fahre ich mit weiteren Regeln fort. Ich spiele mal noch ein bisschen herum:
Die Iterationsregel (C) lautet: Erstes Wort wird mit zweitem Wort in der nächsten Zeile kombiniert (Kompositum), dann wird erstes Wort mit dem drittem Wort in der darauffolgenden Zeile kombiniert; dann rückt letztes Wort an die erste Stelle der nächsten Zeile und wird zum Ausgangspunkt für die erneute Kompositum-Konstruktion, usw., bis zurück zur Ausgangsphrase:

Teil I – It. C
Lernende Netzwerke
Lernnetze
Lernwerke
Werkende Lernnetze
Werklernen
Werknetze
Netzende Werklerne
Netzwerk
Netzlerne
Etwas langweilig, aber ok. Mir gefällt, dass Iteration B in C aufgehoben ist. Die Kompositum-Konstruktion geschieht hier etwas freizügig, vielleicht sollte ich das später noch einmal überdenken. An diesem Punkt überlege ich, wie ich die eigentlich interessanten Assoziationen aus Teil I mit weiteren Regeln erreichen kann und probiere weiter herum. Also…
Die Iterationsregel (D) lautet: Das letzte Wort rückt an die erste Stelle der nächsten Zeile und wird zu einem flektierten Adjektiv; die beiden anderen Wörter bilden ein Kompositum (dieses wird grammatisch angepasst):

Teil I – It. D
Lernende Netzwerke
Gewerktes Lernnetz
Genetztes Werklernen
Gelerntes Netzwerk
Finde ich in Ordnung. Schließlich noch die letzte Regel, die etwas komplizierter und auch etwas spannender daherkommt.
Die Iterationsregel (E) lautet: (a) Mit dem zweiten Wort wird ein Relativsatz gebildet, der sich auf das dritte Wort bezieht; das erste Wort bleibt ein Adverb, das sich sprachlich anpasst; (b) im Anschluss wird das letzte Wort an die erste Stelle der nächsten Zeile gerückt und wie in der Ausgangsphrase ein Adverb und ein Kompositum gebildet; dann wieder (a):

Teil I – It. E
Lernende Netzwerke
(a) Lernendes Werk, das netzt
(b) Werkende Lernnetze
(a) Werkendes Netz, das lernt
(b) Netzende Werklerne
(a) Netzendes Lern, das werkt
Lernende Netzwerke
Diese Iteration gefällt mir zunächst am besten, der Relativsatz ermöglicht einen spannenden Ausdruck und versieht das Ganze nochmal mit einer Prise Absurdität. Ich möchte mir kurz einen Überblick verschaffen und klebe das ganze in eine Grafik:

Ökonomisch wunderbar ist der Umstand, dass sich Iterationsregel B in Iterationsregel C und E wiederfindet und daher „wegrationalisiert“ werden und dadurch etwas Kürze hergestellt werden kann (was ja anscheinend die Würze der Lyrik ausmacht). Jetzt gilt es prinzipiell zu beurteilen, wie der erste Teil letztlich aussehen sollte:
IV – Beurteilung der derzeitigen Ergebnisse (Funktion: Reflexion des Prozesses und Produktes): Zunächst sollen hier innere Kritiken, Bedenken, Sorgen, aber auch spontane Ideen festgehalten und im Abschluss ein Urteil gefällt werden. Hierfür wird ebenfalls wieder das einfachste Werkzeug der Welt: ein ungeordnete Liste verwendet.
- Einwand: Mir erscheint die technische Herangehensweise etwas langweilig und ich bin mir unsicher darüber, ob dies ein „Interesting Read“ ist im Sinne von poetischer Spannung – tut sich da etwas beim Rezipieren?
- Zuwand: Andererseits entspricht diese Vorgehensweise der tieferen Idee des Gedichts, informationstechnologische Prozesse abzubilden, diese „Algorithmen“, wenn man so will, bezogen auf Sprache darzustellen, eine gewisse Langweile kann hier also auch der Idee/Aussage des Gedichts entgegenkommen, denn sicherlich stellt das Chaotische/Lebendige der Sprache und das Geordnete/Regelhafte des Technischen einen interessanten, spannungsreichen Widerspruch dar.
- Reflexion: Es scheint sich hier eine Entscheidung anzubahnen, zwischen interessanter Rezeption und interessanter Konzeption. Problem am Letzteren könnte sein: wie verdeutlicht man das Konzeptuelle verständlich genug, damit es sichtbar und als Teil des Endproduktes gesehen wird und wie hält man es dennoch nebulös genug, um Spannung zu erzeugen und den Impuls, zu verstehen, worum es geht, auszulösen? Bezogen auf die Rezeption stellt sich die Frage: Wie gelangen Harmonie, Rhythmus und Klangfarbe in das Gedicht, wenn es doch eigentlich „technisch“ funktionieren soll?
- Idee: Tatsächlich lässt sich die Qualität und die Kompatibilität der Form zur Idee noch nicht beurteilen. Um hier vielleicht einen Kompromiss zwischen Idee und Form zu finden, sollte sich zunächst ein Überblick über das gesamte Gedicht verschafft werden. Das heißt, es ist jetzt erst einmal nützlich, auf den weiteren geplanten Ebenen (2 und 3) mit den bisher aufgestellten Iterationsregeln weiter zu verfahren und dann noch einmal in die Beurteilung zu gehen. Ebenso sollten weitere intuitive Entscheidungen und Einfälle weiterhin mit einbezogen werden.
Soweit zunächst…es geht weiter, wenn es weitergeht…
Ein Kommentar zu “#Showyourworkprocess: Arbeit an einem Gedicht – II”